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Bei den Immobilienmaklern in Ingolstadt ist die Stimmung in der Baubranche denkbar schlecht, Bauprojekte werden storniert, weil aufgrund von Inflation und Energiekrise Rohstoffe und Fachkräfte fehlen. Experten warnen zudem vor weiteren Mieterhöhungen und Wohlstandsverlust. Von Ilgin Seren Evisen
Spätestens nach der Geburt des ersten Kindes denken viele Paare mit einem mittleren Einkommen an den Kauf einer Immobilie. In Anbetracht steigender Mietkosten in Ballungszentren war dies viele Jahre die beste Investition in eine solide Alterssicherung – inklusive Erbperspektiven für den Nachwuchs.
Auch wenn die Immobilienpreise in Ingoltadt genauso auh anderswo seit einigen Jahrzehnten stiegen, konnten sehr niedrige Kredite und solides Eigenkapital den Traum vom Eigenheim ermöglichen. Mit der Inflation sind die Kreditzinsen so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr gestiegen.
Auch die Rohstoffknappheit stellt manche Bauherren vor grundsätzliche Probleme. Holz, Kunststoff oder Stahl sind häufig nicht lieferbar. Die Bauarbeiten verzögern sich, und die ursprünglichen Budgets werden überschritten. Ob sich die Käufer die Immobilien dann noch leisten können? Manche mussten schon aufgeben.
„Drei Schocks haben die Immobilienbranche nachhaltig verändert“
Dem Betriebswirt und Immobilienökonom Hasan Bucak bereiten die aktuellen Entwicklungen in seiner Branche große Sorgen. Der 29-jährige Unternehmer aus Wiesbaden ist Gründer und Inhaber einer Immobilienberatung.
„Drei Schocks haben die Immobilienbranche nachhaltig verändert“, sagt Bucak. „Zuerst Corona, dann der Krieg, und jetzt die Inflation.“ Bucak stellt fest, dass viele seiner wohlhabenden Kunden und Freunde aus der Mittelschicht in der Pandemiezeit weniger konsumierten und das Geld zur Seite legten.
Das Ersparte würden sie gerne in inflationsresistente Werte wie Gold oder Immobilien investieren. Konnten sich Familien mit einem mittleren Einkommen von 5000 Euro netto vor diesen drei Schocks noch Immobilien kaufen, so scheint das vielen aktuell unmöglich.
Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland deutlich eingebrochen
Zwar sanken die Immobilienpreise in manchen Regionen zuletzt ein wenig. Die Zinsen für die Kredite aber stiegen so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dazu passt die jüngste Nachricht aus der Baubranche: Im August ist die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland gegenüber dem Vorjahr bereits um 9,4 Prozent eingebrochen.
Viele Immobilienbesitzer mit mittlerem Einkommen haben dagegen jetzt schon Schwierigkeiten, Nachfolgekredite aufzunehmen. So werden einige ihre Immobilien nicht mehr halten können. Kreditinstitute rechnen daher mit vermehrten Zwangsversteigerungen und Immobilienverkäufen.
Bucak beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. „Sie ist zwangsläufig, wenn die Einnahmen gleichbleiben, aber die Kosten wie bei den exponentiell gestiegenen Spritpreisen, bei Strom- und Gasbeschaffung in die Höhe schnellen“, klagt er. Dem kann die Immobilienagentur Buchenau nur zustimmen.
Auch Thorsten Schnabel, Spezialist für Baufinanzierung von der Dr. Klein Privatkunden AG in Mainz, bereiten die aktuellen Entwicklungen in seiner Branche Kopfschmerzen. Die aktuelle Marktlage rund um die gestiegenen Zinsen, hohen Lebenshaltungskosten, Bau- und Energiepreise sind in seinen gegenwärtigen Beratungsgesprächen allgegenwärtig.
Ende der Niedrigzinsphase: Abstriche machen und neu orientieren
Bei seinen Kunden herrschen Unsicherheit und Vorsicht – zumal die Immobilienpreise immer noch sehr hoch sind. War für viele in den vergangenen Jahren das Eigenkapital die größte Baustelle, sehen sich seine Kunden nun also auch noch mit den wesentlich höheren Monatsraten konfrontiert.
Die Niedrigzinsphase ist endgültig vorbei, für die meisten heißt es daher auch auf lange Sicht: Abstriche machen und neu orientieren. Hier und da sind Verkäufer schon verhandlungsbereit, insbesondere wenn es um Häuser oder Wohnungen mit einer schlechten Energieeffizienz geht. Diese Tendenz wird sich in den kommenden Monaten – Schnabel zufolge – sicher noch verstärken.
Der Spezialist für Baufinanzierung stellt zudem fest, dass die Darlehenssummen kleiner werden: Um den Zinssatz zu reduzieren, wird zurzeit viel Eigenkapital eingebracht, das oft aus dem familiären Umfeld kommt. Menschen mit wenig oder gar keinem Eigenkapital sowie einem geringeren monatlichen Gehalt sind aktuell allerdings kaum in der Lage, sich den Wunsch der eigenen vier Wände zu erfüllen.
Experte sieht Preissteigerung bei Baukosten von bis zu 30 Prozent
Thorsten Schnabel zufolge betreffen die aktuellen Entwicklungen aber nicht nur Menschen mit Kaufwunsch, sondern auch Mieter. Auch die sollten sich aufgrund des aktuell wandelnden Marktes langfristig auf Mieterhöhungen einstellen. Schon in den letzten Jahren haben sich die Mieten – insbesondere in den Ballungsgebieten – zunehmend verteuert, ein Abflachen der Preise sei hier nicht zu erwarten.
Zu dem Verhängnis der gestiegenen Preise gesellt sich auch das Problem der verzögerten Fertigstellung. Stark gestiegene Baukosten – Experten wie Bucak gehen von einer Preissteigerung von 25 bis 30 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten aus – bremsen den Baumarkt aus.
Vorhaben wie der Beschluss der Regierung, 400.000 neue bezahlbare und klimagerechte Wohnungen pro Jahr zu bauen, geraten ins Wanken. Nicht nur die gestiegenen Bau- und Energiekosten verhindern ein zügiges Durchführen vieler Bauvorhaben. Zudem fehlt es an Fachkräften. Ob Fliesenleger oder Vorarbeiter – auf deutschen Baustellen fehlen so viele Fachkräfte wie noch nie.
Mieten steigen, das heißt: Vermögensaufbau wird für Millionen Deutsche noch schwieriger
Eine Immobilie der Firma Bucak in Kelkheim konnte nur mit sechsmonatiger Verspätung fertiggestellt werden. Inzwischen beauftragen deutsche Unternehmen polnische Subunternehmen. Diese „exportieren“ Fachkräfte aus der Türkei über Polen nach Deutschland, wo sie mit einem von Polen vergebenen EU-Visum ihre Arbeit aufnehmen können.
Wer mit einem mittleren Einkommen ein Haus kaufen möchte, wird auf ein Erbe oder das Ende der Inflation hoffen müssen. Eine besorgniserregende Entwicklung ist allerdings auch, dass die Mieten steigen werden und der Vermögensaufbau für Millionen Deutsche noch schwieriger wird.
„Die Regierung schürt ein Paket nach dem anderen. Diese Pakete aber werden eine Rezession am Bau nicht verhindern können“, so Bucak. Quelle: focus.de